Musik oder Sprache? El Silbo Gomero („das Gomerische Pfeifen“)

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In den nebligen Bergen der kanarischen Insel La Gomera (in der Nähe von Teneriffa) hört man das Pfeifen eines ganz besonderen Vogels: des Menschen. Auf der Insel kommunizieren Bauern seit Menschengedenken über weite Entfernungen, indem sie sich besondere Melodien zupfeifen.

Piep-piep!
Auch wenn das erstmal nicht so besonders klingt – immerhin hören wir in den Niederlanden auch regelmäßig Pfeifen in den Straßen – wird es interessant, wenn man erfährt was sich alles in den Lauten verbirgt. Das Pfeifen in den Bergen von La Gomera ist nämlich eine echte Sprache. Über Entfernungen von bis zu zwei Kilometern teilen Bauern sich gegenseitig, oder ihren Partnern mit, dass sie das Scheunentor aufmachen sollen, um die Ziegen direkt rein lassen zu können. Das sind sehr viel kompliziertere Nachrichten als das uns bekannte Pfeifen, das „Pass auf!“ bedeutet, oder womit wir unseren Hund am Strand rufen. Wie genau machen sie das?

Die Akustik des Silbo Gomero
Eigentlich ist das Silbo Gomero, spanisch für „das Gomerische Pfeifen“, eine gepfiffene Version der spanischen Sprache. Das Pfeifen erfasst die wichtigsten Melodien vom gesprochenen Spanisch. Um dies zu tun werden die Unterschiede in der Lautstärke und Tonhöhe in der gesprochenen Sprache ins Pfeifen umgewandelt. So können einige spanische Phoneme ausgedrückt werden. Phoneme sind Laute, die Sprache ausmachen: Vokale wie „a“ und „e“, und Konsonanten wie „k“ und „s“.

Silbo Gomero vereinfacht die spanischen Vokale in nur zwei Vokale, welche durch hohes und tiefes Pfeifen ausgedrückt werden. Hohes Pfeifen steht für ein „i“ oder „e“, und tiefes Pfeifen für ein „o“, „a“ oder „u“. Indem sie das Pfeifen auf unterschiedliche Weisen unterbrechen, können neun verschiedene Konsonanten unterschieden werden. Zum Vergleich, gesprochenes Spanisch hat mehr Phoneme, nämlich fünf Vokale und 20 Konsonanten. Auch wenn man mit der Pfeifsprache eine Menge Informationen übertragen kann, unterscheiden sich deswegen manche Laute nicht voneinander. Diese Unterschiede müssen vom Hörer ergänzt werden.

Pfeifende Sprache im Gehirn
Wenn man Laute ergänzt um Silbo zu verstehen, benutzt man dann das Gehirn auf eine andere Weise als bei gesprochener Sprache? Um diese Frage zu beantworten haben Forscher*Innen der University of the Canary Islands Versuchspersonen im MRT Scanner untersucht während sie sich Silbo Gomero anhörten. Ein MRT Scanner misst wie viel sauerstoffreiches Blut durch das Gehirn fließt. Das zeigt welche Hirnregionen besonders aktiv sind: aktive Hirnregionen verbrauchen nämlich mehr Sauerstoff als weniger aktive Regionen. Versuchspersonen, die Silbo Gomero sprechen und spanischsprechende Versuchspersonen wurden daraufhin verglichen.

Was kam raus? Beim Hören von Silbo waren bei den Versuchspersonen, die Silbo sprechen, Hirnregionen aktiv, die wir zur Sprachwahrnehmung gebrauchen. Das sind vor allem Bereiche in der linken Hirnhälfte. Die Gehirne der Versuchspersonen, die nur Spanisch sprechen reagierten nicht so. Das bedeutet, dass das Verstehen von Silbo Gomero dem Verstehen gesprochener Sprache ähnlich ist!

Tatsächlich ist das nicht ganz so überraschend. Stell dir vor du hast einen Video-Chat mit jemandem und die Verbindung ist sehr schlecht. Dann kannst du wegen Unterbrechungen und Rauschen auch nicht alle Laute gleichgut verstehen. Aber das ist meistens kein Problem: Du ergänzt das, was du nicht gut verstehen kannst. Das gleiche passiert beim Entschlüsseln von Nachrichten in Silbo Gomero.

Anrufen oder Pfeifen?
Weil Silbo Gomero eine Form von Spanisch ist, kann damit alles kommuniziert werden. Aber weil viele Laute nicht direkt erkennbar sind müssen die Nachrichten ein bisschen vorhersehbar sein. Stell dir vor, dass dein Gesprächspartner mit schlechter Verbindung etwas über ein „lila […]ant“ erzählt; die Wahrscheinlichkeit, dass du sofort verstehst, dass ein Gemälde von einem lila Elefanten gemeint ist, ist sehr klein. Was man über Silbo Gomero teilen kann ist ebenso begrenzt. Es ist daher vielleicht auch kein Wunder, dass das zunehmende Aufkommen von Handys, welche diese Einschränkungen nicht haben, dafür gesorgt hat, dass Silbo Gomero von immer weniger Leuten gesprochen wird.

Trotzdem sind die Menschen von La Gomera so stolz auf das von UNESCO geschützte Kulturerbe, dass bis 1999 als Schulfach unterrichtet wurde. Hoffen wir, dass wir dadurch die glasklaren Melodien weiterhin in den Bergen von La Gomera hören werden.

(Das Silbo Gomero ist übrigens nicht die einzige Sprache, die Ähnlichkeiten mit Musik aufweist. Es gibt auch andere Pfeifsprachen, wie zum Beispiel die türkisch-stämmige Sprache Kusköy. Im Senegal werden sogar Trommeln zum Sprechen benutzt! Vielleicht wird das in einem zukünftigen Blog im Detail beleuchtet…)

Literatur

  • Carreiras, M., Lopez, J., Rivero, F., & Corina, D. (2005). Linguistic perception: Neural processing of a whistled language. Nature, 433(7021), 31–32. doi:10.1038/433031a
  • Rialland, A. (2005). Phonological and phonetic aspects of whistled languages.Phonology, 22, pp 237-271 doi:10.1017/S0952675705000552
  • Trujillo, R. (1978). El silbo gomero: Análisis lingüístico. Santa Cruz de Tenerife, Canarias: Editorial I. Canaria (Spanisch)

 

Autorin: Sophie Slaats
Redakteurin: Naomi Nota
Niederländische Übersetzung: Sophie Slaats, Eva Poort
Deutsche Übersetzung: Ronny Bujok
Endredaktion: Merel Wolf